Rund 150.000 Menschen in Deutschland haben einen künstlichen Darm- oder Harnausgang. Stuhl oder Urin über einen Beutel auszuscheiden – schon der Gedanke daran ist für viele Menschen unangenehm. Wir haben Sonja Leeb, Pflegeexpertin für Stomata am Caritas-Krankenhaus gefragt: Wie geht es Betroffenen? Wie sieht ihr Alltag aus und wer braucht überhaupt ein Stoma?
Frau Leeb, Sie sind ausgebildete Pflegeexpertin für Stoma, Kontinenz, Wunde und betreuen Betroffene vor und nach einer Operation. Welche Menschen sind das?
Es sind Menschen, die aufgrund einer Darmerkrankung oder wenn es aufgrund bestimmter Erkrankungen zum Verlust oder zur Beschädigung der Harnblase kam, vorübergehend oder auch dauerhaft einen künstlichen Darmausgang oder eine künstliche Harnableitung benötigen. Das heißt, die Ausscheidungen werden in der Regel in ein Beutelsystem, das am Bauch befestigt ist, abgeleitet.
Was sind Ihre Aufgaben als Stomatherapeutin?
Das Aufgabenfeld ist sehr breit. Ein wichtiger Baustein ist, dass wir gemeinsam mit den Patienten festlegen, wo das Stoma platziert werden soll und in Absprache mit dem Operateur anzeichnen. Natürlich gibt es medizinische Vorgaben, aber wir haben etwas Spielraum, wo auch der Patient mitbestimmen kann. Das Wichtigste ist, dass der Patient das Stoma gut einsehen und damit gut versorgen kann. Zudem gibt es weitere Dinge zu beachten, so sollte zum Beispiel, wenn möglich, das Stoma nicht im Bereich des Rock- oder Hosenbundes platziert sein.
Das Gespräch mit den Patienten vor der Operation ist eine weitere Aufgabe. Wir informieren sie sehr genau und versuchen so auch Ängste zu nehmen.
Und nach der OP?
Nach der OP leiten wir die Patienten zur selbstständigen Stomaversorgung an. Wir versuchen, Berührungsängste zu nehmen und Sicherheit zu vermitteln. Wir beraten die Betroffenen zu allen Bereichen bezüglich „Leben mit Stoma“. Bei Bedarf beziehen wir die Angehörigen mit ein. Zudem vermitteln wir den Kontakt zu Selbsthilfegruppen. Denn wir haben die Erfahrung gemacht, dass der Austausch mit Menschen, die ebenfalls ein Stoma tragen, den meisten sehr gut tut. Außerdem ist eine gute Nachsorge wichtig. Hier gibt es spezielle Dienstleister, so genannte Homecare-Unternehmen, die wir ebenfalls vermitteln. Diese liefern das Material und sind bei Problemen zu Hause, was insbesondere die Stomaversorgung angeht, die ersten Ansprechpartner. Bei älteren Menschen ist manchmal auch die Inanspruchnahme eines ambulanten Pflegedienstes nötig. Uns ist es wichtig, dass bei der Entlassung aus der Klinik alles geregelt, ist und der Patient zu Hause gut vorbereitet in den Alltag starten kann.
Wie reagieren Betroffene, wenn sie erfahren, dass sie ein Stoma benötigen?
Das kommt darauf an, ob es nur vorübergehend oder dauerhaft angelegt ist, und welcher Leidensdruck dahintersteckt. Patienten, die in ihrer Lebensqualität erheblich eingeschränkt waren, sind in der Regel sehr gefasst. Sie blicken der Zeit mit Stoma zuversichtlich entgegen. Für sie bedeutet es ein Mehr an Lebensqualität.
Bei vorübergehenden Anlagen ist zunächst häufig eine ablehnende Haltung zu beobachten. Die Menschen wollen sich oftmals gar nicht so sehr mit der neuen Situation beschäftigen, da das Stoma sowieso wieder zurückverlegt werden wird und sie so eher den Fokus auf die Zeit nach der Rückverlagerung des Stomas und somit wieder ein Leben ohne Stoma im Blick haben.
Bei sehr kurzfristig erfahrener Diagnose und der damit verbundenen möglichen dauerhaften Stomaanlage sind die Patienten oft sehr verunsichert bis hin zu großen Ängsten. Sie sorgen sich, dass mit dem Stoma kein lebenswertes Leben mehr zu erwarten sei, der Alltag nur eingeschränkt bewältigen werden könne und ebenso die Ausübung des Berufs nicht mehr möglich sein könnte. Das geht soweit, dass Patienten dazu neigen, sich sozial isolieren zu wollen.
Ist das so, dass Patienten mit Stoma so stark eingeschränkt sind?
Glücklicherweise nicht. Die heutigen Stomaversorgungen sind sehr sicher und unkompliziert zu tragen. Man kann damit seinen normalen Alltag leben, Sport treiben, sogar schwimmen. Viele sind überrascht, dass es auch Badebekleidung gibt, mit denen die Stomaversorgung gar nicht auffällt.
Auch können die meisten weiterhin in ihrem Beruf arbeiten, wenn sie dort nicht schwer heben müssen. Mit Stoma sollte man nicht mehr als fünf bis zehn Kilo heben und tragen. Der Besuch im Fitnessstudio ist ebenfalls möglich, nur bei Übungen, die die Bauchmuskulatur betreffen, sollte man vorsichtig sein. Geschulte Trainer können hierbei beraten.
Sie erleben Patienten ja öfter auch einige Zeit nach der Stoma-Anlage wieder. Welche Erfahrungen machen Sie dabei?
Grundsätzlich können die Patienten auch nach ihrem Aufenthalt jederzeit bei uns anrufen oder sich in unserer proktologischen oder urologischen Sprechstunde anmelden. Aber es kommen natürlich auch Stomaträger zur Nachsorge oder zur Rückverlagerung, wenn dies nicht dauerhaft angelegt ist. Erfreulicherweise stellen wir fest, dass sich der überwiegende Teil gut mit seinem Stoma arrangiert hat. Wir bekommen immer wieder die Rückmeldung: „Ich hätte nie gedacht, dass ich auch mit Stoma so eine gute Lebensqualität habe.“