Es ist ein trüber Tag im Dezember, der alles verändert. Der 44-Jährige Landwirt arbeitet an der Getreideschnecke, die Getreide von A nach B befördert, als er auf glattem Untergrund ausrutscht und direkt in die Stahlspirale fällt. Der Sturz hat den Schutzmechanismus außer Kraft gesetzt, so dass die Maschine weiterarbeitet – mit fatalen Folgen für Thomas Lindner. Die Getreideschnecke zieht das rechte Bein immer weiter ein, bis der Motor der Elektrik blockiert. Doch da ist es schon zu spät. Der Oberschenkel ist von Schnitten übersät, der rechte Unterschenkelknochen ragt gebrochen hervor, doch am Schlimmsten: der Fuß hängt nur noch an einem kleinen Stück Haut. Einer seiner drei Söhne findet ihn kurze Zeit später, befreit ihn aus der Spirale und ruft Feuerwehr und Rettungsdienst.
„In dem Moment war meine größte Sorge, dass der Fuß amputiert werden muss und ich meinen Hof nicht mehr bewirtschaften kann“, sagt Lindner. „Das hätte unsere gesamte Existenz zerstört.“ Er und seine Familie bewirtschaften rund 240 Hektar Land, halten 500 Bullen und sind zu dem Zeitpunkt auch noch in der Direktvermarktung tätig.
Getreide infiziert Wunde
Tatsächlich ist die Lage ernst. Am Universitätsklinikum Regensburg, wo der Landwirt zunächst versorgt wird, stabilisieren die Spezialisten der Klinik und Polyklinik für Unfallchirurgie den Unterschenkelknochen und führen eine unmittelbare Wundreinigung und Wundversorgung durch. Schnell wird klar, dass neben dem Knochenbruch die größere Herausforderung die Weichteilverletzungen darstellen. Nur wenn es gelingt die durchtrennten Muskeln, Sehnen und die zerfetzte Haut zu reparieren, besteht die Chance, den Fuß zu retten. Da die Verletzungen so schwerwiegende sind, beschließen die Mediziner, den Patienten ans Caritas-Krankenhaus St. Josef zu verlegen. Dort steht neben einer Unfallchirurgie für derartige Fälle auch eine Druckkammer zur hyperbaren Sauerstofftherapie zur Verfügung.
„Das Glück war, dass die Gefäße noch funktionsfähig waren, sonst wäre der Fuß von vorneherein nicht mehr zu retten gewesen. Doch die besondere Herausforderung in diesem Fall war die Infektionsgefahr“, berichtet Priv.-Doz. Dr. Paul Schmitz, Direktor der Klinik für Unfallchirurgie am Caritas-Krankenhaus St. Josef. Denn die Stahlspirale hat Lindners Bein praktisch durchstochen – und dabei Getreide in die offene Wunde gerieben. „So etwas habe ich noch nie gesehen. Selbst nach mehreren Operationen haben wir immer noch Getreidekörner in den Wundtaschen und zwischen den Muskeln finden können, das war der reinste Bakterienherd“, berichtet Schmitz. „Wir wussten, nur wenn es uns gelingt, die Infektion in den Griff zu kriegen, können wir die Funktion des Fußes erhalten.“
Daher ist eine Abfolge von mehreren Operationen nötig, in denen immer wieder abgestorbenes Gewebe abgetragen und die Wunde gereinigt wird. Anschließend wird das betroffene Gebiet entweder mit einer Kunsthaut versorgt oder vakuumversiegelt, um die Neubildung von Gewebe zu fördern. Parallel zu den Operationen wird Lindner in einer der beiden HBO-Druckkammern zur hyperbaren Sauerstofftherapie (HBO) in St. Josef versorgt. „In der Kammer wird ein Überdruck erzeugt, wie er auch beim Tauchen auf den menschlichen Körper einwirkt. Gleichzeitig atmet der Patient über eine Maske reinen, 100-prozentigen Sauerstoff ein. Dieser löst sich aufgrund des Überdrucks im Körper um ein vielfaches leichter im Blut und sorgt so für eine extrem hohe Sauerstoffkonzentration“, erklärt Prof. Dr. Michael T.F. Pawlik, Direktor der Klinik für Anästhesiologie, Intensiv- und Notfallmedizin am Caritas-Krankenhaus St. Josef, der für die HBO-Druckkammer-Therapie in St. Josef verantwortlich ist. Auch schlecht durchblutete Organe bzw. Gewebeteile können so noch mit einer hohen Sauerstoffmenge versorgt werden. „Dadurch ist die Wunde so gut geheilt, dass wir sie mit einem Hauttransplantat abdecken und den Fuß retten konnten“, erklärt Priv.-Doz. Dr. Schmitz.
Positiver Anstoß
Insgesamt verbringt Lindner rund zwei Monate in der Klinik, anschließend folgt ein Aufenthalt in einer Reha-Einrichtung. „Diese Zeit war für meine Familie und mich extrem belastend. Lange wussten wir nicht, ob ich wieder voll in den Betrieb einsteigen kann, unsere Existenz stand auf dem Spiel.“ Denn das Unternehmen ist ein Familienbetrieb, Thomas Lindner Betriebsleiter. Sein Fehlen reißt eine große Lücke. Zwar geben seine Frau und seine drei Söhne „Vollgas“ wie er berichtet, und auch Betriebshelfer unterstützen, doch auf Dauer wäre der Betrieb so nicht zu halten. „In der ganzen Zeit habe ich mich an einem Satz festgehalten“, erklärt Lindner: „Im August werden Sie wieder auf Ihrem Mähdrescher sitzen.“ Diesen Satz sagt Priv.-Doz. Dr. Schmitz im Dezember zu ihm. „Man kann sich gar nicht vorstellen, wie wichtig so ein Satz in so einer Situation ist, was für einen positiven Anstoß das einem gibt“, so der Familienvater. Und tatsächlich: Im August, ziemlich genau acht Monate nach diesem Unglück, sitzt er wieder auf seinem Mähdrescher.
Heute merkt Lindner kaum noch etwas von seinem Unfall. „Ich trage orthopädische Sicherheitsschuhe und wenn die Tage besonders lang sind, habe ich Schmerzen, die sich anfühlen wie ein starker Muskelkater. Aber ich bin dankbar, dass alles so gut verlaufen ist, die vielen Operationen und die Behandlung in der Druckkammer haben unsere Existenz gerettet.“