Rund 35.000 Patientinnen und Patienten kommen jedes Jahr in die Zentrale Notaufnahme (ZNA) des Caritas-Krankenhauses St. Josef. Darunter sind neben echten Notfällen, Menschen mit weniger dringenden Beschwerden und auch solche, die nicht auf den Termin beim Facharzt warten wollen. Wie es gelingt, hier den Überblick zu behalten, darüber haben wir mit Christoph Gottswinter, dem stellvertretenden pflegerischen Leiter der ZNA, gesprochen.
Herr Gottswinter, für Patienten in der Notaufnahme ist es oft schwer zu verstehen, warum sie länger warten müssen als jemand, der nach ihnen gekommen ist. Warum ist das so?
Häufig kommen so viele Patientinnen und Patienten in die Notaufnahme, dass wir nicht alle gleichzeitig behandeln können. Da es in einigen Fällen um Leben und Tod geht, können wir nicht warten, bis der Patient an der Reihe ist, sondern behandeln diejenigen zuerst, die unsere Hilfe am dringendsten brauchen.
Wie erkennen Sie, welcher Patient in dem Moment gerade am dringendsten behandelt werden muss?
In St. Josef arbeiten wir in der Ersteinschätzung mit dem sogenannten Manchester-Triage-System (MTS), das in Deutschland sehr verbreitet ist. Das heißt, jeder, der neu in die Notaufnahme kommt, wird von einer Pflegekraft gesehen, die sich mit dem Patienten unterhält und ihn in eine von fünf Kategorien unterteilt.
Diese reichen von „Rot – sofortige Behandlung“ bis hin zu „Blau – nicht dringend“! Dazwischen gibt es die Kategorien Orange, Gelb und Grün. Ein Beispiel: wird ein Patient in Kategorie Rot eingeordnet, müssen alle anderen laufenden untergeordneten Tätigkeiten unterbrochen werden, um sofort mit der Behandlung dieses Patienten zu beginnen. Hier sprechen wir beispielsweise von Patienten im Schock bei schwerem Herzinfarkt. Patienten, die in die niedrigste, die blaue Kategorie fallen, sollten innerhalb von zwei Stunden behandelt werden. Sind aber viele Patienten mit einem dringenderen Problem in der Notaufnahme, kann es auch länger dauern.
Aber diejenigen, die mit dem Rettungswagen angeliefert werden, kommen sofort dran, oder?
Das ist ein weit verbreiteter Irrglaube. Denn auch die Patienten, die mit dem Rettungswagen zu uns kommen, durchlaufen die Ersteinschätzung. Stellt sich heraus, dass der eingelieferte Patient weniger dringenden Behandlungsbedarf hat, muss er ebenfalls erst einmal im Wartezimmer Platz nehmen.
Es gibt nur ganz wenige Ausnahmen bei der Ersteinschätzung: eine davon sind Sturzgeburten. Die hatten wir hier in der Notaufnahme tatsächlich schon mehr als einmal. Da bleibt keine Zeit mehr für die Einschätzung – da werden sofort die Hebammen und Gynäkologen gerufen.
Braucht es für diese Ersteinschätzung eine besondere Ausbildung?
In St. Josef arbeiten in der Ersteinschätzung nur speziell geschulte, examinierte Pflegekräfte, die einen entsprechenden Weiterbildungskurs absolviert haben, und die zudem bereits mindestens ein Jahr bei uns in der Notaufnahme tätig sind.
Viele erwarten an der Stelle einen Arzt, der die Diagnose stellt.
Das stimmt. Aber hier liegt ein Irrtum zu Grunde: die Einteilung erfolgt nicht nach der Diagnose, die darf tatsächlich nur ein Arzt stellen. Wir ordnen die Dringlichkeit anhand der Symptome ein – wie es das Manchester-Triage-System vorgibt.
In letzter Zeit ist immer häufiger von überfüllten Notaufnahmen die Rede, weil sich Menschen dort vorstellen, die eigentlich kein echter Notfall sind. Kommt das in St. Josef auch vor?
Leider erleben auch wir, dass Menschen zu uns kommen, die bereits länger Rückenschmerzen haben, aber nicht auf einen Termin beim Facharzt warten wollen, und die dann am Wochenende oder in der Nacht zu uns kommen, weil sie gerade Zeit haben. Oder Patienten, die einfach definitiv kein Notfall sind, wie ein junger Mann, der zu uns kam, weil er aufgrund seiner verstopften Nase nicht schlafen konnte. Dafür sind die Notaufnahmen natürlich nicht gedacht.
Hinzu kommen die Patienten, die tatsächlich ein akutes Problem haben, das aber der Hausarzt behandeln könnte.
Aber der hat ja nicht rund um die Uhr geöffnet…
Dafür gibt es den Ärztlichen Bereitschaftsdienst. Er ist genau für die Menschen da, die nicht lebensbedrohlich erkrankt oder verletzt sind, aber auch keine Möglichkeit sehen, den nächsten Werktag abzuwarten. Eine dieser Bereitschaftspraxen befindet sich sogar direkt bei unserer Notaufnahme. Sie hat werktags von 18 bis 21 Uhr und am Wochenende und feiertags von 9 bis 21 Uhr geöffnet. Außerhalb dieser Zeiten können Betroffene die 116 117 anrufen. Die Mitarbeitenden an der Hotline kennen nicht nur die Öffnungszeiten der Bereitschaftspraxen in der Nähe, sondern schicken – außerhalb der Öffnungszeiten der niedergelassenen Ärzte – bei Bedarf einen Arzt zu den Kranken nach Hause.
Noch eine Frage zum Schluss: gerade in der Notaufnahme herrscht ein großer Druck. Gibt es etwas, das Sie sich von den Patientinnen und Patienten wünschen würden?
Wir erleben viel Ungeduld und leider sind auch Beschimpfungen – gerade von Wartenden – schon fast an der Tagesordnung. So unangenehm es ist, mit Beschwerden warten zu müssen, so sollte man sich immer klarmachen: während ich draußen warte, retten wir vielleicht gerade einem anderen das Leben.